Kunststoffe in der Umwelt – kann ein Plastikemissionsbudget helfen?
Um eine politische Entscheidungsgrundlage für den Umgang mit Kunststoffemissionen zu schaffen, haben Forschende des Fraunhofer UMSICHT und der Ruhr-Universität Bochum ein Plastikemissionsbudget vorgeschlagen. Das zugehörige Projekt wurde nun abgeschlossen. Im Projektverlauf beantworteten sie folgende Fragen: Welche Mengen Kunststoff werden aktuell in die Umwelt eingetragen und welche Mengen haben sich bereits akkumuliert? Welche Menge an Kunststoff ist in der Umwelt gerade noch akzeptabel? Wie lange dauert der Abbau von Kunststoffen in realen Umweltkompartimenten und werden die Risiken durch verschiedene Kunststoffe adäquat abgebildet? Die Antworten werden dazu dienen, ein Pro-Kopf-Emissionsbudget zu berechnen.
Im Bereich der Treibhausgasemissionen wurde bereits 2009 durch den Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltfragen ein Budgetansatz vorgestellt. Das jährliche Emissionsbudget wurde mit 1 Tonne Kohlendioxid pro Kopf und Jahr auf Basis der 2°-Leitplanke berechnet.[1] Während die tatsächlichen Emissionen in 2018 noch bei 9,2 Tonnen Kohlendioxid pro Kopf und Jahr lagen, sind sie im Corona-Jahr 2020 auf 7,7 Tonnen pro Kopf und Jahr gesunken (EU 27: 5,9 Tonnen pro Kopf und Jahr).[2] Der Vergleich von Emissionsbudget und tatsächlichen Emissionen macht die Dimension der Herausforderung transparent und handhabbar. Im Projekt Plastikbudget, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde, wurde von den beteiligten Forschenden des Fraunhofer UMSICHT und der Ruhr-Universität Bochum jüngst der Vorschlag unterbreitet, einen ähnlichen Ansatz für Kunststoffemissionen zu verfolgen.
Sechs Prozent des globalen Erdölverbrauchs fließen in die Kunststoffindustrie – Tendenz steigend. Während die Kunststoffindustrie in vielen Ländern einen wichtigen Wirtschaftsfaktor einnimmt, gelangen immer mehr Kunststoffabfälle in Form von Plastic-Litter, Mikroplastik oder löslichen Polymeren in Böden und Ozeane. Das Problem der Kunststoffemissionen weist dabei Ähnlichkeiten mit dem der Treibhausgasemissionen auf:
- Die Kunststoffemissionen stammen aus einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Quellen,
- einmal in die Umwelt entlassen, sind sie kaum rückholbar,
- über Flüsse und Meeresströmungen verteilen sie sich und besitzen globale Relevanz.
Wenn Kunststoffe in die Umwelt gelangen, reichen die negativen Folgen für die Organismen von Erstickung über den Transfer innerhalb der Nahrungskette bis zu den physikalischen Auswirkungen auf ein Ökosystem. Hinzu kommen chemische Gefahren durch Freisetzung von Additiven, Monomeren und kritischen Zwischenprodukten von Stoffwechselvorgängen, den Metaboliten. Wie groß die langfristige Tragweite der Kunststoffemissionen tatsächlich ist, steht zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht fest. Dennoch gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, dass die derzeitige Situation nicht fortgeschrieben werden darf und das Vorsorgeprinzip anzuwenden ist.
Durch die globale und generationsübergreifende Dimension des Problems ist es wichtig, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Konsumierende gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Ein Ziel des Verbundprojekts war es deshalb, die heutigen Plastikemissionen zu quantifizieren und ein Plastik-Emissionsbudget abzuleiten. Auf dieser Grundlage konnten die Forschenden erste quantitative Emissionsziele formulieren, die der Legitimation umweltpolitischer Entscheidungen dienen können. Insbesondere die Kombination naturwissenschaftlicher Berechnungsansätze und normativer Wertvorstellungen zu einem konkreten Emissionsbudget bildet dabei das Kernziel des Projektes.
Um Kunststoffverschmutzung zu messen, haben die Forschenden die Messgröße des persistenzgewichteten Plastikemissionsäquivalent (kurz: PPE) entwickelt. Sie gibt an, wie viele Jahre es dauert, bis die Kunststoffemissionen z. B. in Boden, Süßwasser oder Meerwasser abgebaut sind. Relevante Eigenschaften dafür sind die Region, der Materialtyp, die Form der Kunststoffemission sowie die charakteristische Größe des emittierten Kunststoffobjekts und das Umweltkompartiment, in das der Kunststoff zunächst emittiert wird. Das Plastikemissionsäquivalent wird in Kilogramm angegeben. Schwer abbaubare Kunststoffe erhalten dabei eine Masse in Kilogramm Plastikemissionsäquivalenten, die ein vielfaches ihrer realen Masse entspricht.
Ausgehend von der These, dass die bereits heute in der Umwelt akkumulierte Gesamtmenge der Kunststoffe gerade eine kritische Menge erreicht hat, konnten die Forschenden das global verfügbare Plastikemissionsbudget (PPB) auf 250 Millionen Tonnen Plastikemissionsäquivalenten abschätzen. Sofern diese Menge dauerhaft emittiert würde, bliebe die Situation so, wie sie heute ist. Bei der Annahme gleicher Emissionsrechte ergibt sich daraus ein Pro-Kopf-Plastikemissionsbudget von etwa 32 Kilogramm PPE. Gleichzeitig bestimmten die Forschenden die Plastikemissionsäquivalente verschiedener Emissionsquellen. So erzeugt das Autofahren, bei einer jährlichen Fahrleistung von 15.000 Kilometern 16,5 Kilogramm PPE, das Wegwerfen von 10 Coffee-to-go-Bechern im Jahr 13,5 Kilogramm PPE und der Verbrauch einer Spule Nylonfaden für einen Rasentrimmer schlägt mit 5,1 Kilogramm PPE zu Buche. Insgesamt schätzen die Forschenden das ein Durchschnittsdeutscher oder eine Durchschnittsdeutsche jährlich heute etwa 216 Kilogramm PPE emittiert. Das Budget wird damit derzeit um das 6- bis 7-fache überschritten.
Damit das Plastikemissionsbudget in Zukunft eingehalten werden kann, haben die Forschenden verschiedene Szenarien untersucht. Sie schlagen eine Lösung vor, bei der eine Reduktion der Emissionen um 50 % durch haltbarere Produkte und politische Maßnahmen gegen Littering erreicht wird, kombiniert mit einer deutlich stärkeren Verwendung besser abbaubarer Kunststoffe in allem Bereichen, in denen Emissionen nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Durch diese Kombination könnte das Plastikemissionsbudget eingehalten werden und die Menge des Kunststoffs in der Umwelt würde stagnieren. Soll die Menge in der Umwelt deutlich reduziert werden, sind weitreichendere Maßnahmen erforderlich. Derzeit befinden wir uns aber auf einem Weg, bei dem die Menge in der Umwelt in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich ansteigen wird. Die Nutzung des Plastikemissionsäquivalents bei der Produktkennzeichnung sowie als Teil der Ökobilanzierung[3] und des Plastikemissionsbudgets in der Umweltkommunikation, könnte diese Entwicklung transparent machen und zeigen, an welchen Stellschrauben wir drehen können, um dies zu ändern.
Förderhinweis:
Das Vorhaben ist Teil des Forschungsschwerpunkts »Plastik in der Umwelt« (PidU) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), in dem 18 Verbundprojekte mit rund 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden, Kommunen und Praxis grundlegende Fragen zur Produktion, Anwendung und Entsorgung von Kunststoffen klären wollen. Der Forschungsschwerpunkt »Plastik in der Umwelt – Quellen, Senken, Lösungsansätze« ist Teil der Leitinitiative Green Economy des BMBF-Rahmenprogramms »Forschung für Nachhaltige Entwicklung« (FONA3).
[1] https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/kassensturz-fuer-den-weltklimavertrag-der-budgetansatz; Letzter Zugriff: 13.05.2022
[2] https://edgar.jrc.ec.europa.eu/country_profile/DEU; Letzter Zugriff: 13.05.2022
[3] https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s11367-022-02040-1.pdf ; Letzter Zugriff: 13.05.2022