Sie sind seit August 2022 der neue Leiter des Fraunhofer Cluster of Excellence Circular Plastics Economy. Was macht für Sie Fraunhofer CCPE aus?
Hinter Fraunhofer CCPE stehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs Fraunhofer-Instituten mit ihrem Know-How und einer einzigartigen Anlagen- und Analytikinfrastruktur zu verschiedensten Forschungsthemen innerhalb der Circular Economy. Schwerpunkte bilden die Materialauswahl und -entwicklung, die Nutzungsphase der Produkte inklusive individueller Geschäftsmodellinnovationen bis hin zum Recycling. Evidenz schafft die überzeugende und transparente Bewertung von Produkten und Prozessen durch die Anwendung etablierter Methoden wie beispielsweise dem Life-Cycle-Assessment.
Im Moment ist die Circular Economy in aller Munde, allerdings kann nicht alles zu 100% wieder und weiter verwendet werden. Welche Rolle spielen dabei die sogenannten R-Strategien?
Zur Umsetzung der Ziele einer Circular Economy müssen insbesondere die Geschäftsmodelle der Unternehmen angepasst oder neu ausgerichtet werden. Die R-Strategien sind eine sehr gute Orientierung bezüglich der Bandbreite an Veränderungsmöglichkeiten. Die bekanntesten drei R-Strategien sind Reduce, Reuse und Recycle. Doch es gibt noch weitere R-Strategien in der Kreislaufwirtschaft, beispielsweise Refuse, Rethink, Repair, Refurbish, Remanufacture, Repurpose und Recover. So reicht es manchmal schon aus, einem Produkt ein anderes Aussehen zu geben (Refurbish) oder Teile des bisherigen Produkts für eine andere Funktion einzusetzen (Repurpose), um nachhaltiger zu wirtschaften. Die intensive Nutzung von Produkten über Product-Service-Systems ist ein extrem spannender Ansatz, um den Ressourcenbedarf zu verlangsamen – muss ich zum Beispiel ein bis zwei Bohrmaschinen besitzen, wenn ich im Jahr durchschnittlich 3 Löcher in eine Wand bohren möchte oder könnte eine hochwertige, langlebige Bohrmaschine unkompliziert geliefert werden und von 8 Haushalten pro Tag genutzt werden?!
R-Strategien klingt kompliziert. Haben Sie ein Beispiel, wie man diese R-Strategien anwendet?
Manfred Renner: Eine gute Unterstützung für die Wahl der R-Strategie ist das von CCPE entwickelte System Mapping. Nach einer kurzen Analyse des bestehenden Produkts werden die R-Strategien auf ein Szenario, zum Beispiel Einsparung von CO2 oder Primärrohstoffen, analysiert. Die Simulationsergebnisse zeigen, welche ökologischen und ökonomischen Kurz- und Langzeiteffekte durch ein verändertes Produktdesign zu erwarten sind und der passende Innovationspfad lässt sich daraus ableiten.
Was genau meinen Sie, benötigt es, damit die Circular Economy in der Kunststoffindustrie flächendeckend Fahrt aufnimmt?
Dazu sind andere Produktdesigns, Stichwort Eco-Design, Materialien und deren Kombination, Technologien, aber auch Anreize nötig. Und ganz ohne Regulatorik wird es auch nicht gehen. Entscheidend wird aber sein, dass die Akteure in der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten – und zwar über einzelne direkt verbundene Stufen hinweg. Erst dann wird es gelingen, lineare Wertschöpfung zu krümmen und schließlich zu einem Wertschöpfungskreislauf zu transformieren. Die Projekte im Fraunhofer CCPE berücksichtigen diesen Multistakeholder-Ansatz. Durch die Kombination von System-Know-how und Technologien entstehen so Lösungen für kleine und große Kreisläufe.
Worauf freuen Sie sich bzgl. der Arbeit im Cluster CCPE in den kommenden Wochen?
Unser nächstes Highlight ist am 4. Mai 2023 unsere zweistündige Onlineveranstaltung »Fraunhofer CCPE compact« mit dem Thema »Rezyklate in Primärwarequalität - Stand und Perspektiven des Advanced Recyclings«. Ein heute kontrovers diskutiertes und in der Zukunft immer bedeutenderes Thema! Mein Standpunkt in kurzen Worten: die Kategorie »Sowohl-als-auch« wird in unserer Zukunft wichtiger sein als ein »Entweder-oder« zur Lösung der riesigen vor uns liegenden Aufgaben! Es geht um kluge Kombination von slowing, narrowing, closing unter Nutzung aller R-Strategien mit dem Ziel, die besten aufgabenstellungsbasierten Lösungen in allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit zu finden: sozial, ökonomisch und ökologisch!